DIE "ELMEX"-RECHTSPRECHUNG DES BUNDESGERICHTS

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Das Bundesgericht hat am 28. Juni 2016 im Rahmen einer öffentlichen Urteilsberatung i.S. Gaba einen Leitentscheid gefällt. Mit Spannung wurde die Urteilsbegründung erwartet. Am 21. April 2017 publizierte das Bundesgericht das Urteil.

Dem Urteil liegt folgender Sachverhalt zu Grunde: Die Gaba International AG (heute: Colgate-Palmolive Europa Sàrl) - die Herstellerin der Zahnpasta Elmex - hatte ihre Lizenznehmerin in Österreich (Gebro Pharma GmbH) bis 2006 vertraglich verpflichtet, keine Exporte von Elmex-Produkten in andere Länder zu tätigen und damit auch keine Parallelimporte in die Schweiz zuzulassen. Laut WEKO stellte diese Klausel eine unzulässige absolute Gebietsschutzabrede dar. Sie verhängte im November 2009 eine Sanktion von CHF 4.8 Mio. gegen Gaba International AG  und eine symbolische Sanktion in Höhe von CHF 10'000 gegen Gebro.

Das Bundesverwaltungsgericht wies die Beschwerde der Elmex-Herstellerin ab. Bei der Analyse der Frage, ob die absolute Gebietsschutzabreden den Wettewerb erheblich beeinträchtigte, ging das Bundesverwaltungsgericht einen Schritt weiter als die WEKO, indem es festhielt, dass absolute Gebietsschutzabreden unabhängig von allfälligen quantitativen Kriterien - wie z.B. Marktanteilen - grundsätzlich erhebliche Wettbewerbsabreden darstellen.

Laut der bisherigen Praxis der WEKO waren bei dieser Analyse im Sinne des "more economic approach" nebst qualitativen Kriterien stets auch quantitative Kriterien zu berücksichtigen, auch wenn bei absoluten Gebietsschutzabreden in quantitativer Hinsicht geringfügige Auswirkungen genügten, um eine solche Abrede als erhebliche Wettbewerbsbeschränkung zu qualifizieren.

Am 28. Juni 2016 hat das Bundesgericht den Entscheid des Bundesverwaltungsgerichts und damit auch den Entscheid der WEKO bestätigt. In der Analyse der Erheblichkeit folgte das Bundesgericht dem Ansatz des Bundesverwaltungsgerichts. Es hielt fest, dass Preis-, Mengen- und Gebietsabreden im Sinne von Art. 5 Abs. 3 und 4 KG - also harte horizontale und vertikale Wettbewerbsabreden - den Wettbewerb aufgrund ihres Gegenstandes grundsätzlich erheblich beeinträchtigen (E. 5.2.5). Dabei genüge es, dass eine solche Abrede den Wettbewerb potenziell beeinträchtigen können (E. 5.6). Ein Nachweis tatsächlicher Auswirkungen oder der Umsetzung der Abrede sei nicht erforderlich (E. 5.4.2). Mit seinem Urteil hat das Bundesgericht klargestellt, dass der Gesetzgeber seiner Ansicht nach bereits mit der Neufassung des KG 1995 grundsätzlich ein faktisches Teilkartellverbot mit Rechtfertigungsmöglichkeit eingeführt hat, wie es in der KG-Revision 2014 gescheitert ist.

Das Bundesgericht entschied sodann über eine weitere Grundsatzfrage betreffend Direktsanktionen (Art. 49a Abs. 1 KG) im Falle von Abreden nach Art. 5 Abs. 3 und 4 KG. Direktsanktionen können laut dem Urteil nicht nur bei harten hoizontalen und vertikalen Wettbewerbsabreden verhängt werden, die den wirksamen Wettbewerb beseitigen, sondern auch bei solchen, die den Wettbewerb "nur" erheblich beeinträchtigen und nicht aus Effizienzgründen gerechtfertigt werden können. Diesem Umstand ist bei der Sanktionsbemessung Rechnung zu tragen. Die Abschreckungswirkung des KG ist damit wesentlich höher, als wenn Sanktionen nur bei tatsächlicher Beseitigung des Wettbewerbs hätten ausgesprochen werden können.

 

Auszüge aus dem Urteil

Keine wortwörtlichen Zitate.

E. 3.7: Art. 2 Abs. 2 KG stellt klar, dass auch Auslandssachverhalte, welche sich in der Schweiz auswirken können, unter das KG fallen; die Prüfung einer bestimmten Intensität der Auswirkungen ist im Rahmen von Art. 2 Abs. 2 nicht notwendig und auch nicht zulässig.

E. 5.1.6: Nach dem historischen Auslegungselement ist das Kriterium der Erheblichkeit eine Bagatellklausel. Sowohl das systematische als auch das teleologische Element bestätigen dies.

E. 5.2.1 (zur Frage, wann die Bagatellschwelle erreicht ist): Mit der Erheblichkeitsschwelle soll die Verwaltung entlastet werden, was mit einer umfassenden und differenzierten Beurteilung nicht erfolgen kann. Insofern ist eine quantitative, auf ökonomische Modelle abgestützte Methode weniger geeignet, die Aufgreifschwelle in der gebotenen zeitlichen Kürze zu bestimmen. Qualitative Kriterien, die sich aus dem Gesetzestext ableiten lassen, sind zu bevorzugen.

E. 5.2.2: Quantitative und qualitative Erheblichkeit verhalten sich demnach wie zwei kommunizierende Röhren.

E. 5.5: Abreden nach Art. 5 Abs. 3 und 4 KG erfüllen das Erheblichkeitskriterium nach Art. 5 Abs. 1 KG ohne Bezug auf einen Markt.

E. 5.6: Abreden nach Art. 5 Abs.3 und 4 KG erfüllen grundsätzlich das Kriterium der Erheblichkeit nach Art. 5 Abs. 1 KG. Dabei genügt es, dass Abreden den Wettbewerb potenziell beeinträchtigen können (E. 5.4.2: Ein Nachweis tatsächlicher Auswirkungen oder der Umsetzung der Abrede ist nicht erforderlich).

E. 6.2.2: Die Beschränkung des Intrabrandwettbewerbs durch vertikale Abreden kann wie jede andere Wettbewerbsbeschränkung problematisch sein. ... Insofern ist es für konkret zu beurteilende Fälle müssig, über ökonomische Theorien zu diskutieren, die von anderen Erfahrungen ausgehen, wobei bei diesen im Übrigen keine einheitliche Auffassung auszumachen ist.

E. 6.3.2 (zur Anlehnung ans EU-Recht): Der Gesetzgeber wollte ohne rechtstechnisch gleich vorzugehen eine materiell identische Regelung zwischen Art. 5 Abs. 4 KG und dem EU-Wettbewerbsrecht in Bezug auf vertikale Abreden - trotz fehlendem dynamischen Verweis.

E. 6.4.1: SR Büttiker hat in der parlamentarischen Debatte festgehalten, dass Technologietransfer- und Lizenzverträge, die einen absoluten Gebietsschutz vorsehen, von Art. 5 Abs. 4 KG erfasst sind. Dies entspricht dem Verständnis, dass der Begriff des Vertriebsvertrags umfassend zu verstehen ist und auch einzelne Vertragsklauseln in anderen Verträgen beinhaltet. Insofern unterliegen solche Klauseln Art. 5 Abs. 4 KG.  

E. 9.4.6: Abreden nach Art. 5 Abs. 3 und 4 sind deshalb zu sanktionieren, weil sie aus Sicht des Gesetzes als besonders problematisch betrachtete Einschränkungen der marktbezogenen Handlungsfreiheit gelten, aber sie sind nur dann zu sanktionieren, wenn sie nach Art. 5 Abs. 1 KG unzulässig sind.

E. 9.7.4 (zur Bedeutung von Compliance-Programmen bei der Strafbemessung): Hier geht es nicht um wettbewerbswidrige Verhaltensweisen von Mitarbeitenden unterer Verantwortlichkeitsstufen, sondern um eine Vertragsklausel in einem Lizenzvertrag, der von Personen der Führungsebene abgeschlossen wurde. Unter diesen Umständen kann die Berufung auf ein Compliance-Programm nicht strafmildernd berücksichtigt werden.

 

Debating Competition Dinner

Das 15th Debating Competition Dinner mit dem Thema "Die "Elmex"-Rechtsprechung des Bundesgerichts" widmete sich den Auswirkungen des wegweisenden Urteils. Es fand am Donnerstag, 4. Mai 2017 im Zunfthaus zur Saffran in Zürich statt. Die beiden Impulsreferate wurden von den Herren Prof. Dr. Patrik Ducrey (Stv. Direktor WEKO-Sekretariat) und RA Mario Strebel (Partner Meyerlustenberger Lachenal) im Rahmen eines dreigängigen Abendessens gehalten. Die Veranstaltung wurde von Frau Dr. Andrea Graber (Debating Competition/WEKO-Sekretariat) moderiert.

Die Referenten haben sich freundlicherweise bereit erklärt, Abstracts zu ihren Impulsreferaten zum Download zur Verfügung zu stellen.

 

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